Barbarossa-Kopf

Barbarossa-Kopf wurde zum Johannes-Reliquiar

Höhepunkt der angebotenen Exkursion von Dülmen nach Cappenberg bei Selm und Weiterfahrt nach Nordkirchen war der Besuch der ehemaligen Prämonstratenser-Stiftskirche St. Johannes in Cappenberg. Am vergangenen Samstag, dem 16. September 2023, machten sich 30 interessierte Personen auf die vom Heimatverein Dülmen organisierte und für die Öffentlichkeit angebotene Zeitreise. Erste Anlaufstelle des Ausflugs bildete Schloss Cappenberg bei Selm. Die Grafen von Cappenberg waren mit den Saliern und Staufern verwandt und unterhielten auf der kleinen Anhöhe bei Selm eine Ritterburg. Die Brüder Gottfried und Otto von Cappenberg waren an dem Überfall der Papsttreuen auf die Stadt Münster im Investiturstreit beteiligt, bei dem auch der Paulusdom 1121 in Flammen aufging. “Die frevlerische Tat wurde“, wie die Kunsthistorikerin Petra Mecklenbrauck, der Dülmener Gruppe in der Stiftskirche berichtete, “Gottfried von Cappenberg angelastet, der vom König für ‘vogelfrei’ erklärt wurde.” Um vor der Verfolgung sicher zu sein, vermachten die Grafen von Cappenberg ihren ganzen Besitz dem Wanderprediger Nobert von Xanten und traten dem von ihm gegründeten Orden der Prämonstratenser bei. Die Ritterburg wurde abgerissen und 1122 wurde der Grundstein für die romanische Stiftskirche sowie das erste Prämonstratenserkloster auf deutschem Boden gelegt. Nach fast 700-jährigem Bestehen wurde das Stift in Folge der Säkularisation aufgelöst und zur preußischen Staatsdomäne umgewandelt, die der ehemalige preußische Staatsminister und Reformer Karl Reichsfreiherr von und zum Stein (1757-1831) zu seinem Altersruhesitz 1816 erwarb.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Herbstexkursion 2023
Teilnehmergruppe der öffentlichen Studienfahrt zum Schloss Cappenberg und Schloss Nordkirchen.

Exemplarische erläuterte Petra Mecklenbrauck den Teilnehmenden an der Exkursion die reiche Innenausstattung der turmlosen dreischiffigen Pfeilerbasilika mit östlichem Querhaus. Am Gedenkgrab Gottfrieds, der als überlebensgroße Rittergestalt dargestellt ist und in seiner rechten Hand eine Plinte für das goldene Kopfreliquiar des heiligen Johannes, des Evangelisten, trägt, ging die Kunsthistorikerin auf die Zuschreibung als ‘Barbarossa-Kopf’ ein. Otto von Cappenberg war der Taufpate des späteren Staufer-Kaisers Friedrich I. Barbarossa. Dieser schenkte möglicherweise anlässlich eines Aufenthalts in Münster 1156 die Büste und die so genannte Taufschale an Otto von Cappenberg, um sich des geistlichen Beistands seines Paten zu versichern und schon zu Lebzeiten Vorsorge für sein Totengedächtnis z treffen. Durch das Einsetzen von Haaren des Evangelisten Johannes verwandelte Otto das Idealporträt des deutschen Kaisers Friedrich I. Barbarossa (1122-1190) in ein Reliquiar.

Gruppe vor dem Gedenkgrab Gottfrieds von Cappenberg

Aus der Zeit vor der Reformation (1509/1520) stammt das an geschnitzten Figuren, Wappen, Ornamenten und Rankenwerk außerordentlich reich ausgeführte Chorgestühl, welches sich in der Vierung der Stiftskirche befindet. Ausgeführt von einem regionalen Schreiner, finden sich unter den ‘Miserikordien’, den Konsolen unter den Klappsitzen, sowohl Motive aus der Heilsgeschichte aber auch Teufelsfratzen, Drachen, Narren und szenische Darstellungen, die zum schmunzeln anregen.

Das aus dem frühen 18. Jahrhundert stammende barocke Stiftsgebäude, der noch heute existierenden Dreiflügelanlage, ersetzte als Ersatzneubau die mittelalterlichen Klostergebäude. Am Ausflugstag konnte dort die Reisegruppe unter den Erläuterungen von Frau Mecklenbrauck einen Einblick in die Familiengeschichte des Freiherrn von Stein um 1829 gewinnen.

Den Abschluss des diesjährigen Herbstausflugs bildete eine Außenbesichtigung von Schloss Nordkirchen, dem westfälischen Versailles. Die ursprüngliche Schlossanlage wurde 1694 von Fürstbischof Friedrich Christian von Plettenberg in Auftrag gegeben und unter der Planung des Architekten Gottfried Laurenz Pictorius (1663-1729) begonnen. Aber bekannt wurde das barocke Wasserschloss durch die ‘Handschrift’ von Johann Conrad Schlaun (1695-1773), der 1723 als Architekt den weiteren Ausbau verantwortete. Im Schlossinnenhof konnten bei herrlichem Sonnenschein alle Teilnehmenden ihren Kaffee und Kuchen oder Erfrischungsgetränke und Eis genießen. Ihren Dank richteten die Ausflügler bei ihrer Rückkehr in Dülmen auch an Dr. Dieter Potente, der die Exkursion vorbereitet hatte und selbst die Erläuterungen zur Architektur des Schlosses Nordkirchen gab.

Dr. Dieter Potente vor dem Schloss Nordkirchen
Dr. Dieter Potente vor dem Schloss Nordkirchen
Mit der Leeze zum Römerkastell Aliso

Mit der Leeze zum Römerkastell Aliso

In eine Zeit vor 2.020 Jahren ließen sich die Teilnehmenden an der Pättkesfahrt im Römermuseum Haltern zurückversetzen. Die Fahrradtouren des Heimatvereins Dülmen stehen seit vielen Jahren unter dem Motto, ‘wir besuchen unsere Nachbarn’.
Neben dem Genießen unsere schönen münsterländischen Kulturlandschaft gehören die Elemente Geschichts- oder Geschichtenvermittlung sowie der Austausch untereinander bei Kaffee und Kuchen zum festen Bestandteil unserer Fahrradtouren.

Wie das Leben eines Legionärs um 4 n. Chr. im Römerkastell Aliso im heutigen Nordwesten Deutschlands ausgesehen haben könnte, wurde im LWL-Museum unter fachkundiger Führung den Tourmitgliedern vermittelt.
Auf dem Gebiet der Stadt Haltern am See befand sich vor 2.020 Jahren am Ufer der Lippe ein wichtigster Stützpunkt der Römer, um von dort aus, in die tiefen Urwälder Germaniens vorzudringen. Unter dem Befehl des römische Feldherrn Varus sollte das Gebiet rechts des Rheins erobert werden. In Haltern war nachweislich die XIX. Legion stationiert, die 9 n. Chr. in der Varusschlacht zusammen mit zwei weiteren Legionen unterging.

Gruppe der Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer im rekonstruierten Teil der römischen Lagerbefestigung.

Heute befindet sich das Museum exakt an der Stelle, die gerade noch außerhalb des ehemaligen Kastells lag. Zur Führung gehörte auch die Erkundung des Außengeländes mit der originalgetreuen und sehr realistischeb Rekonstruktion der Kastellbefestigung und eines Wachgebäudes aus Lehmwänden.

Die Rückfahrt führte die ‘Pedalritter’ über Sythen. Dort wurde das Erlebte bei Kaffee und Kuchen untereinander vertieft. So gestärkt fuhr die Gruppe mit vielen Eindrücken im ‘Gepäck’ wieder zurück nach Dülmen.

Nachforschungen im Dülmener Stadtarchiv

Nachforschungen durch Nachfahren

18 Jahre nachdem ihre Tante Lisel Wohl, geb. Cahn mit den Cousinen Claudia und Gaby Dülmen besuchten, trafen die Geschwister Andy Tobias, Orly Tsabar und Karin Halevy-Tobias in der Geburtsstadt ihrer Mutter und Tante ein. Die drei Besucherinnen und Besucher sind Kinder von Margot Cahn und Enkel bzw. Enkelinnen von Max und Elly Cahn geb. Goldschmidt.

Nachforschungen im Dülmener Stadtarchiv
Andy Tobias, Orly Tsabar und Karin Halevy-Tobias im Stadtarchiv

Gedenk- und Erinnerungskultur in Dülmen

Sicherlich hat sich der Heimatverein Dülmen seit dem Neustart der Veröffentlichung der Dülmener Heimatblätter nach dem Krieg, also seit 1954 dem Gedenken an seine ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger durch einzelne Aufsätze verschrieben. Als systematische Erinnerungskultur darf man diese Aktivitäten jedoch nicht bezeichnen. In Dülmen haben fast vier Jahrhunderte lang Juden gelebt, die Stadt durch ihre Geschäfte, ihre Betriebe und ihre Teilnahme am öffentlichen Leben gefördert und mitgeprägt.
Die Anfänge einer Dülmener Gedenkkultur dürften mit der Namensgebung der städtischen Realschule für Jungen und Mädchen in Hermann-Leeser-Schule im Jahre 1988 zusammenfallen.

Hermann Leeser war ein angesehener Bürger und Fabrikant. Am 9. November 1938 wurde er von den Nationalsozialisten verfolgt und in den Tod getrieben. Seine Frau Rhea Leeser (geb. Zondervan) konnte als Niederländerin mit den Töchtern Helga (später verh. Becker-Leeser) und Ingrid im November 1938 nach Holland fliehen. Versteckt vor den Nazis überlebten Ehefrau und Töchter in einem Hinterhaus in Rotterdam.

Zusammen mit dem Heimatforscher Heinz Brathe, Diethard Aschoff sowie den Arbeiten von Helga Becker-Leeser und ihrem Sohn Joost Becker entstand 1991 in Zusammenarbeit mit dem Institutum Judaicum Delitzschianum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) das Dülmener Lesebuch zum jüdischen Friedhof, welches die Geschichte der jüdischen Familien in Dülmen erstmals anhand ihrer Gräber dokumentierte.

Zwischen 2005 und 2011 verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus 40 Stolpersteine in Dülmen. Die Stolpersteine wurden von Schülerinnen und Schülern der Hermann-Leeser-Schule und des Richard-von-Weizsäcker-Berufskollegs gespendet. Daraus entwickelten die Akteure in Kooperation mit dem Stadtarchiv einen Geschichtsrundgang anhand der Stolpersteine.​
Der Heimatverein Dülmen würdigte diese Aktivitäten, berichtete in den Ausgaben der Dülmener Heimatblätter und widmete dieser mittlerweile systematischen Erinnerungsarbeit einen Schwerpunkt in seiner Buchausgabe zum Dülmener Stadtjubiläum 2011. Regelmäßige kulturelle Erinnerungsveranstaltungen zum Tag der Novemberpogrome, des Volkstrauertages und der Befreiung von Auschwitz werden in Dülmen mit vielen Kooperationspartnern begangen.
Die Lebensgeschichte von Helga-Becker Leeser wurde zusammen mit dem Heimatverein Dülmen, dem Stadtarchiv, der Geschichts-AG der Hermann-Leeser-Schule, und weiteren Kooperationspartnern in Form einer Graphic Novell in Buchform veröffentlicht und dient der Geschichtsvermittlung im Schulunterricht.

Die Dülmener Tür in der Ausstellung „Spurensuche_n im Gestern und Heute” eröffnet Einblicke in das vielfältige jüdische Leben und die seit 2005 intensivierte Erinnerungsarbeit vor Ort. Die Ausgrabung und Einbindung des Keller Pins sowohl in den Rundgang der Stolpersteine, als auch der digitalen Stadtinformation (QR-Code gestützter Stadtrundgang) schreibt diese Erinnerungsarbeit an die vier Jahrhunderte jüdischen Lebens in Dülmen fort.

Spurensuche_n im Gestern und Heute

Jüdisches Leben in Münster und dem Münsterland

Tür in die Vergangenheit

Seit 2010 macht das Projekt Expedition Münsterland an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) einzigartige Wissenschafts-Schauplätze im Münsterland erlebbar und lässt universitäre Forschung in der Region sichtbar werden. Das Projekt Expedition Münsterland versteht sich als Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Einerseits wird das Wissen aus der Universität Münster der Bevölkerung, den Unternehmen und den Kommunen vermittelt und andererseits wird der Austauschprozess zwischen Region und Universität angeregt. Im Rahmen der Expedition Münsterland sind im Laufe der Zeit immer weitere Veranstaltungen mit Schulen entstanden.
Die „Spurensuche“ der Expedition Münsterland ist ein Projektformat, das seit 2013 kontinuierlich verfolgt und weiterentwickelt wurde, um jüdisches Leben im Münsterland vor Ort aufzuspüren und wieder sichtbar zu machen. In gemischten Gruppen aus (Bürger)Wissenschaftler*innen, Studierenden und interessierten Laien, wurden unter Führung von Matthias M. Ester vier Exkursionen durch das gesamte Münsterland unternommen. Dem Ansatz der place-based Citizen Science folgend, gaben im Rahmen der Touren auch bürgerwissenschaftliche Experten Einblicke in das vielfältige jüdische Leben vor Ort vor dem Naziregime. Dieser Ansatz und diese Expertise werden in der Gestaltung einer Ausstellung aufgegriffen, indem Bürgerwissenschaftler*innen, Studierende und Expert*innen der Universität gemeinsam in co-kreativen Prozessen 14 historische Türen zu Aspekten jüdischen Lebens in den Orten, die die Expedition Münsterland besucht hat, gestalten. Den „Türen in die Vergangenheit“ wird kontrastierend und ergänzend ein Film über die jüdische Gemeinde Münster, dem, was gegenwärtiges jüdisches Leben im Münsterland ausmacht, gegenübergestellt. Die Gruppe um die Erstellung der Graphic Novell „Von allem etwas …“ – über das Leben von Helga Becker-Leeser – hat auch die Dülmener Tür für die Ausstellung gestaltet.
Die Ausstellung mit Türen und Film soll dann durch die beteiligten aber auch weitere interessierte Orte des Münsterlands wandern. Aufgrund der Pandemie war lange unklar, ob und wann die Ausstellung in Präsenz gezeigt werden kann.

Vom 5. Mai bis zum 3. Juni 2022 kommt die Türenausstellung (nachdem sie bereits in Burgsteinfurt und Lengerich zu sehen war) nach Dülmen. Zunächst war als Ausstellungsort das intergenerative Zentrum einsA in Dülmen für die Ausstellung vorgesehen. Da die 14 Türobjekte und der Film einen größeren Raum benötigen stand als Kooperationspartner die katholische Kirchengemeinde St. Viktor mit ihrer Pfarrkirche St. Viktor als Ausstellungsort zur Verfügung. Zwischen Vernissage und Finissage wird es ein kulturelles Begleitprogramm verschiedener lokaler Akteure geben.

QR-Code-Stadtinformation

In Dülmen gibt es Gebäude, Orte, Kunstwerke oder irgendwelche Objekte, die den Besuchenden gerne ihre Geschichte erzählen möchten. Bislang erfuhren Interessierte diese Geschichten, Fakten und Hintergründe nur, wenn sie an einer Stadtführung teilnahmen oder sie alteingesessene Bürgerinnen und Bürger, die hier “Poahlböerger” heißen, dazu befragten. Das möchte der Heimatverein ändern. Dazu sollen alle Informationen über multimediale Endgeräte (PC, Tablet, Smartphone, Videoguide etc.) zu den Orten und Objekten zur Verfügung gestellt werden. In Dülmen gibt es zwei Kategorien der lokalen Anknüpfung dieser Informationen auf dem Stadtgebiet. Die erste Kategorie an Gebäuden, Orten, Kunstwerken und sonstigen Objekten “gibet noch” und die zweite Kategorie müssen wir mit “wadda ma” bezeichnen. Das liegt insbesondere daran, dass die Dülmener Innenstadt am 21. und 22. März 1945 durch Brand- und Sprengbomben zu fast 92 Prozent zerstört wurde. Alle Stationen der Dülmener Stadtinformation werden in der Silhouette des Lüdinghauser Tores den jeweiligen QR-Code tragen. Die immer gleiche äußere Form lässt den interessierten Besucher bzw. die interessierte Besucherin bereits von weitem erkennen, wo sich hilfreiche Stadtinformation über Dülmen verbergen. Neben ersten Stationen in der Innenstadt sind bereits das ehemalige Munitionslager Visbeck in der Bauerschaft Dernekamp, die ehemalige Klosteranlage Marienburg in Weddern und der Ortsteil Buldern interessiert, ebenfalls mit einem QR-Code in verbindender Optik ausgestattet zu werden. Die Vorarbeiten sind abgeschlossen, jetzt muss die technische Umsetzung und die langfristige Betreuung der Stadtinformation gelöst werden.

Alle Stationen der Dülmener Stadtinformation werden in der Silhouette des Lüdinghauser Tores den QR-Code tragen.